29.03.2020
Vorab: Die folgenden Ausführungen dienen nicht dazu die aktuellen, sicherlich notwendigen Maßnahmen der Bundesregierung zu kritisieren oder gar in Frage zu stellen sondern zeigen lediglich die Interessenslagen der beteiligten Akteure und die ihnen zur Verfügung stehenden Stilelement auf.
Schon in der über hunderttausende Jahre reichenden Menschheitsgeschichte hat der Mensch es verstanden zu dramatisieren um damit, aus unterschiedlichen Interessen, Emotionen zu verstärken. Über diese Fähigkeit verfügt jedoch nicht nur der Mensch allein, auch bereits bei höher entwickelten Tieren kann diese Verhaltensweise beobachtet werden.
Mit dem Aufkommen der Massenmedien haben sich die Möglichkeiten zur emotionalen Manipulation erheblich erweitert, im Informationszeitalter sind diese schließlich geradezu explodiert.
Dies Entwicklung birgt jedoch auch eine gewisse Gefahr in sich, da Massenmedien gewinnorientiert arbeiten und sich in der Regel ihren Quoten mehr verpflichtet fühlen als ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Gleichwohl wir mit dem Brustton der Überzeugung gebetsmühlenartig wiederholt, dass es ausschließlich um die Befriedigung des berechtigten Informationsbedürfnisses der Bevölkerung gehe.
Auch wenn der Anspruch auf sachliche Informationen durchaus gerechtfertigt ist, so führt gerade diese Quotenorientierung zu erheblichen Verzerrungen bei der Art und Weise der angebotenen Informationen.
Im folgenden soll in Anlehnung an Paul Watzlawicks Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ ein Minileitfaden erstellt werden, anhand dessen eine veritable Krise inszeniert werden kann.
Politik
Bereits bei den ersten Vorboten einer möglichen Krise richtet sich der Blick der besorgten Bevölkerung auf seine Politiker. Von ihnen wird nun erwartet, dass
* sie sich verantwortungsvoll verhalten,
* den üblichen Zwist zwischen den Parteien hintanstellen und
* wider den zuvor gemachten Erfahrungen, das Gemeinwohl über die Eigeninteressen stellen.
Gleichzeitig besitzt jede Krise für die Politiker das Potential daraus gestärkt, als verantwortungsvoller Landesvater, als erfolgreicher Krisenmanager, als eine Leitfigur für schwere Zeiten, der man blindlings vertrauen und die eigenen Ängste aufladen kann, hervorzugehen.
Der Spagat besteht nun darin, bei einer sich anbahnenden Krise alle selbstverstärkenden Effekte zu dämpfen und auf die Möglichkeiten für die eigene Profilierung zu verzichten oder eine Krise, aus purem Eigennutz, zusätzlich anzuheizen. Hat man sich für letzteres entscheiden, so liegt das weitere Vorgehen auf der Hand:
- Regelmäßige, außertourliche Pressekonferenzen der von Fachexperten oder Ministerkollegen flankierten Spitzenpolitiker
- Beschluss von einschneidenden Maßnahmen, die möglichst breite Bevölkerungsschichten betreffen
- Schrittweise Verschärfung dieser Maßnahmen
- Internationaler Wettlauf um die einschneidenderen Maßnahmen bzw. deren schnellere Lockerung
- Einbindung von diese Maßnahmen begründe Fachexperten
- Diskreditierung u. Diffamierung anders Denkender (ausländischer) Politiker wie auch der Fachleute, die alternative Lösungsansätze vertreten.
Medien
Krisen bieten auch für Medien Spielraum ihre Quote auszubauen. Daher ist es für sie auch so wichtig den Aufsprung auf den anfahrenden Zug keinesfalls zu verschlafen. Einmal in Bewegung kann mittels dramatischer Inszenierung, reißerischer und tendenziöser Berichterstattung rasch die Geschwindigkeit erhöht werden. Grundsätzlich empfiehlt sich:
* Bewusste Abkehr von der Normalität. Durch Sonderausgaben, Sondersendungen, Programmumstellungen muss der Eindruck vermittelte werden, dass wir uns jetzt in einer wirklich außergewöhnlichen Situation befinden. Selbst in inhaltliche oder programmtechnische Fixpunkte muss die Krise einfließen. Lücken, die Normalität vermitteln, müssen verkürzt oder durch Kriseninfos unterbrochen werden. Denkbar wäre etwa auch bei länger dauernden neutralen Sendungen/Filmen immer wieder eine Laufschrift mit Bezug zum Krisengeschehen, etwa den aktuellen Fallzahlen, Terminen von Pressekonferenzen, etc. einzublenden. Wird jedoch der Bogen überspannt drohen Quotenverluste. Zuschauer, Leser versuchen der Reizüberflutung zu entgehen. Sie wenden sich ab, stumpfen ab, beginnen zu ignorieren und zu verdrängen.
* Tägliches Hinaufzählen der Opferzahlen
Durch die tägliche oder beinahe schon stündliche Bekanntgabe von aktuellen Opferzahlen wird die Brisanz der rasant fortschreitenden Krise unterstrichen. Selbst wenn es sich im Vergleich zu den bis zu 6000 österreichischen Grippetoten[1] noch um außerordentlich geringe Opferzahlen handelt, so wird suggeriert, zwangsläufig selbst bald zu den Opfern zu gehören.
* Betonen „schöner“ runder Zahlen
Wird eine runde Zahl wie etwa 100 Opfer, 10000 positiv Getestete erreicht so sollte dies in plakative Schlagzahlen einfließen. Damit wir vermittelt, dass die Krise in Riesenschritten voranschreitet.
* Weltweiter Wettbewerb um Negativrekorde
So makaber es auch klingen mag, zu jedem Zeitpunkt ist irgend ein Land Inhaber eines Negativrekordes. Dies können bei einer Epidemie Tote oder Infizierte sein. Wird der bisherige Rekordhalter von einem anderen Land übertroffen, so kann dies zum Thema des Tages gemacht werden.
* Ausnutzen von Framing- und Anchoringeffekte[2]
Wichtig ist es, immer neue Sensationsmeldungen zu generieren. Dazu werden bewusst Framing- und Anchoring-Effekte oder weitere Verhaltensanomalien genutzt. Wie von der Kognitionspsychologie offen gelegt, lassen sich damit die Wahrnehmung des Menschen in die gewünschte Richtung verzerren. Leicht lässt sich so der Eindruck erwecken, es mit einer wirklich lebensbedrohlichen Krise zu tun zu haben.
Bei der Corona-Krise haben sich u. a. bewährt:
– die regelmäßige Bekanntgabe der positiv Getesteten, der Toten und der Geheilten wie z.B. 23741 Positive, 116 Tote und 12 Geheilte. Ohne Hintergrundwissen würde man daraus schließen, dass es sich um eine absolut tödlicher Erkrankung handelt, da bereits 116 Personen gestorben sind und nur 12 geheilt wurden.
– Herumwerfen mit großen und kleinen Zahlen. Im selben Atemzug werden die Testzahlen, die Zahl der positiv getesteten und der Opfer erwähnt.
– Opferzahlen eines ganzen Landes werden gemeinsam mit den Zahlen für die positiv Getesteten einer Provinz dieses Landes genannt.
Beim flüchtigen Hinhören verknüpft das Gehirn die Zahlen miteinander und setzt diese fälschlicherweise in Relation.
Abgesehen von obigen Beispielen scheinen die Spielarten zum Ausnützen menschlicher Wahrnehmungsschwächen schier unbegrenzt zu sein.
Experten
Auch für Experten bietet eine Krise enorme Chance zu Profilierung, insbesonders wenn ihr Fach in unmittelbaren Zusammenhang mit der Krise steht. Die enge Kooperation mit den Medien macht schnell aus einem Experten den für diese Krise begehrtesten und am meisten geschätzten Superexperten. Fast alle Länder besitzen einen solchen Superexperten. Allen anderen bleibt nur noch sich weitgehend seiner Meinung anzuschließen und gelegentlich einen Nebenaspekt in der Diskussion mit einzubringen. Somit bildet sich eine herrschende Meinung heraus, die im Regelfall auch fachlich richtig sein mag. Das problematische daran ist lediglich, dass Fachexperten, aus ihrem Tunnelblick heraus, häufig nur die ihr Fach betreffende Optimallösung anstreben und die vielen anderen, für jede Krise typischen Gesichtspunkte unberücksichtigt bleiben. Beispielsweise schlagen bei der Coronakrisen Virologen den aus Ihrer Sicht optimalen Weg vor, ohne Verantwortung für die sozialen, psychischen, ökonomischen und politischen Folgen zu übernehmen. Hier wäre es die Aufgabe umsichtiger Politiker einen gesellschaftlich akzeptierten Kompromiss zu finden.
* Mediale Präsenz
Wesentlich, um seinen Status zu verbessern, ist medial präsent zu sein. Es ist dabei unerheblich, ob man tatsächlich etwas zu sagen hat, weil sich etwa neue Gesichtspunkte ergeben haben. Bereits das gebetsmühlenartige Wiederholen des bereits Gesagten, im Idealfall mit etwas anderen Worten, genügt. Was zählt sind die Sendungsminuten und Kolumnen, die man zu füllen im Stande ist.
* Antagonismus
Da es schwer fällt sich mit der herrschenden Mehrheitsmeinung zu profilieren und Aufmerksamkeit zu erregen, gehen stets einzelne abtrünnige Experten einen alternativen Weg, indem sie schlicht das Gegenteil behaupten oder zumindest in einigen wesentlichen Punkten davon abweichen. Im Regelfall mögen sie damit fachlich falsch liegen und dafür die Verachtung ihrer Kollegen ernten, das Interesse der Massen und damit der Medien ist ihnen jedoch sicher. In einigen seltenen Fällen kommt es aber vor, dass ihr alternativer Ansatz gerade die relevanten Gesichtspunkte mitberücksichtigt und ihre Vorschläge die richtigen wären. Wie uns jedoch die Geschichte lehrt ist es oft ein langer Weg bis sich die richtige Sicht der Dinge gegen die herrschende Meinung durchsetzt.
Hinsichtlich der aktuellen Coronakrise kann den Akteuren attestiert werden, dass sie bisher virtuos auf der Klaviatur der Möglichkeiten gespielt haben. Allerdings kommt irgendwann der Punkt, ab dem die betroffene Bevölkerung zunehmend krisenmüde wird und der Wunsch nach einer schrittweise Normalisierung steigt. Damit wird es nötig das Ruder herum zu reißen und den Kurs von der für den Krisenmodus typischen Dramatisierung auf Beschwichtigung, Relativierung und Beruhigung zu ändern. Als fernes Ziel, so zu sagen als Silberstreif am Horizont, sollte dann die partielle Herdenimmunität oder eine Impfung bzw. ein wirksames Medikament als Ausweg aus der Krise bereits immer deutlicher erkennbar werden.
Erst die Geschichtsschreibung wird ein endgültiges Urteil über Sinn oder Unsinn, Notwendigkeit oder Vermeidbarkeit, Kosten und Nutzen einer Krise zu liefern im Stande sein.